Hintergrund

Vortrag von Dr. Langlotz zu persönlicher Autonomie

Überanpassung und Selbst-Entfremdung

Als Therapeut erfahre ich täglich von meinen Klienten, welch ungeheurem Anpassungsdruck wir alle, die Jugendlichen, ihre Eltern, ihre Lehrer ausgesetzt sind. Vermittelt durch die Medien, durch die allgegenwärtige Werbung neigen wir dazu, uns selbst – und unsere Kinder – vorwiegend nach Leistung und Einkommen zu beurteilen. Zentrale Persönlichkeitsmerkmale wie Kreativität, eigenständiges Denken, die Freude am Kontakt, an Bewegung und am Lernen, werden zwar theoretisch geschätzt, aber kaum gefördert, nicht selten sogar als störend empfunden und unterdrückt.
Zwar gilt es als erstrebenswert, authentisch zu sein und Zivilcourage zu zeigen, aber wie können wir unseren Kinder vermitteln, was wir selber nicht gelernt haben?

Bereits im Kindergarten, verstärkt in der Grundschule sind Kinder den Erwartungen der Eltern und Lehrer ausgeliefert. Anstatt herauszufinden, was ihre Begabungen, Fähigkeiten, Interessen sind, und wie sie diese entwickeln können, „lernen“ sie, sich an fremde Erwartungen anzupassen, sich mit ihnen zu identifizieren. Sie „lernen“, ihren Wunsch nach ihrem Eigensten, nach einem selbstbestimmten Leben, nach Autonomie zu unterdrücken. Sie lernen, zu „funktionieren“, sie leben fremdbestimmt.

Aber das Bedürfnis nach Selbstbestimmung, nach Autonomie ist ein Grundbedürfnis des Menschen, es lässt sich nicht „ungestraft“ unterdrücken.

Gerade vitale Jugendliche geraten in eine Oppositionshaltung und erzeugen damit Ablehnung. Wie in einem Teufelskreis treibt sie das immer weiter ins Abseits, zu Gewalt, Computersucht, Drogen, Kriminalität, Dissozialität.

Die Angepassten, die sich mit den Fremd-Erwartungen der Erwachsenen identifizieren, „lernen“ ihr Unbehagen, ihren Groll zu unterdrücken. Die Anerkennung, die sie für ihre Leistungen bekommen, macht ihnen die Anpassung leichter. Aber sie sind gefährdet. Immer mehr Jugendliche erkranken an Burn-out, an Stress-Erkrankungen und Erschöpfungs-Depressionen.

Dieser Anpassungsdruck und die fehlende Unterstützung der Selbst-Findung fördert Selbst-Entfremdung, macht Selbst-Findung, macht AUTONOMIE immer schwieriger. Es sind genau diese Persönlichkeitsmerkmale: Kreativität, eigenständiges Denken, die Freude am Kontakt, an Bewegung und am Lernen, welche dem einzelnen ein Gefühl von Würde, Selbst-Achtung und Selbst-Wert (Unabhängigkeit, Lebensfreude, Lebenssinn und persönlicher Befriedigung) vermitteln können, die ihn befähigen, auch in schwierigen Situationen eigene Lösungen für sich und für andere zu finden.

Warum fällt es vielen Menschen so schwer, selbstbestimmt und unangepasst zu leben?

Symbiose- und Autonomie

Durch meine langjährigen therapeutischen Erfahrungen bin ich zu einem tieferen Verständnis von Autonomie und Symbiose gekommen, welches ich hier in schematischer Form vereinfacht darstelle.

Es scheint, dass es zwei gegensätzliche, unbewusst gesteuerte „Programme“ gibt, die unser Verhalten bestimmen: Das Symbiose- und das Autonomie-Programm. Ein besseres Verständnis dieser Programme, und das Wissen um ihre Entstehung, ihre Funktion und ihre unbewusste Steuerung ermöglicht es, sich selbst und andere bei einer Entwicklung zu mehr Autonomie gezielt zu unterstützen.

Unter Autonomie versteht man die Fähigkeit, sein Leben – soweit möglich – selbst-bestimmt, d.h. nach eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Wir alle haben das Potential, um selbstbestimmt leben zu können, das gehört sozusagen zu unserer „Grundausstattung“.